Etwa 10% der europäischen Bevölkerung ist von einer chronischen Nierenerkrankung („chronic kidney disease“/CKD) – sei es nun leichtgradig oder im Endstadium mit Bedarf einer Nierenersatztherapie (Dialyse oder Nierentransplantation) – betroffen.
Bislang ging man davon aus, dass die Verteilung zwischen einzelnen europäischen Regionen relativ homogen sei. Eine aktuelle Studie [1], die in der Zeitschrift JASN, dem Organ der amerikanischen Nierenfachgesellschaft und weltweit das renommierteste Journal dieses Fachs, publiziert wurde, zeigt nun deutliche Unterschiede in der Verteilung auf. Die Arbeitsgruppe um Dr. Katharina Brück vom „Academic Medical Center“ in Amsterdam hatte insgesamt 19 Bevölkerungsstudien aus 13 europäischen Ländern, darunter auch die sogenannte „SHIP-Studie“ [2] („Study of Health in Pomerania“, eine prospektive epidemiologische Kohortenstudie der erwachsene Bevölkerung in der Region Vorpommern), analysiert – und kam zu einem überraschenden Ergebnis: Die europaweit höchste CKD-Prävalenz liegt in Nordostdeutschland, also in Vorpommern, vor. Während die CKD-Prävalenz (alle Stadien) in Norwegen lediglich 3,3% betrug, ergab die Analyse von Brück et al. einen Anteil von 17,3% in Nordostdeutschland. Selbst wenn man nur die späteren und damit klinisch relevanten CKD-Stadien 3-5 in Betracht zog, blieb Vorpommern Spitzenreiter: Dann war immer noch ein Anteil von 5% der Bevölkerung betroffen, während der Anteil in z.B. Mittelitalien mit nur 1% am niedrigsten lag.
„Diese Daten sind beunruhigend“, erklärt Prof. Dr. Jan Galle, Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN). „Bekannt ist, dass die chronischen Erkrankungen in Mecklenburg-Pommern ansteigen – bedingt durch Abwanderung, schwache Geburtenrate und resultierende Überalterung der Bevölkerung [2]. Doch laut der Autoren der Studie soll der Unterschied in der CKD-Prävalenz unabhängig von Diabetes mellitus, Bluthochdruck und Fettleibigkeit bestehen – alles sind prädisponierende Faktoren für eine chronische Nierenerkrankung und treten häufiger bei älteren Menschen auf .“ Die Studienautoren führen Gründe wie genetische Faktoren und Unterschiede in der Gesundheitsversorgung, insbesondere hinsichtlich bestehender Präventions- und Früherkennungsprogramme an, räumen aber auch methodische Schwächen ein: Die 19 in die Analyse einbezogenen Bevölkerungsstudien sind sehr heterogen und wendeten u.a. auch unterschiedliche Methoden für die Bestimmung von Kreatinin und Albuminurie an.
„Es ist ein großes Manko, dass es in Deutschland kein umfassendes, bundesweites CKD-Register gibt. Wir können diese Daten nicht validieren – und haben auch keinen Vergleich, wie es in den anderen Bundesländern aussieht. Letztlich kennen wir nicht einmal die genaue Zahl der Dialysepatienten in Deutschland, sondern rechnen sie vage anhand zehn Jahre alter Daten hoch. Dabei ist eine genaue Erfassung wichtig für die Einschätzung der Inzidenz und die Ermittlung des zukünftigen Versorgungsbedarfs – selbst Länder wie Litauen, Griechenland oder Rumänien sind diesbezüglich weiter als wir und haben Dialyse-Register!“
[2] John U, Greiner B, Hensel E, et al.: Study of Health in Pomerania (SHIP): A health examination survey in an east German region. Objectives and design [Study of Health in Pomerania (SHIP) – Ein Gesundheitssurvey in einer ostdeutschen Region: Ziele und Design]. Soz Praventivmed 2001; 46: 186–94[
3] Siewert U, Fendrich K, Doblhammer-Reiter F et al. Versorgungsepidemiologische Auswirkungen des demografischen Wandels in Mecklenburg-Vorpommern. Dtsch Arztebl Int 2010; 107(18): 328-34